Wird unter Verstoß gegen das Mutterschutzgesetz einer schwangeren Arbeitnehmerin eine Kündigung erklärt, stellt dies eine Benachteiligung wegen des Geschlechts dar und kann einen Anspruch auf Entschädigung auslösen.
Bei diskriminierenden Kündigungen ist unbeschadet des § 2 Abs. 4 AGG ein Anspruch auf den Ersatz immaterieller Schäden nach § 15 Abs. 2 AGG grundsätzlich möglich. Die merkmalsbezogene Belastung in Zusammenhang mit dem Ausspruch einer Kündigung führt jedenfalls dann zu einem Entschädigungsanspruch, wenn sie über das Normalmaß hinausgeht.
Der Wortlaut von § 2 Abs. 4 AGG bestimmt, dass „für Kündigungen” ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. Der Wortlaut dieser verabschiedeten Gesetzesfassung geht auf einen Bericht des Rechtsausschusses des Bundestags zurück1. Der Regierungsentwurf hatte noch vorgesehen, dass für Kündigungen „vorrangig” die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes zu gelten hätten2. Für die Beurteilung von Kündigungen hat dies in der Rechtslehre den Streit ausgelöst, ob § 2 Abs. 4 AGG auch primärrechtswidrig die „Kündigung” aus dem Anwendungsbereich des AGG ausklammere3, oder ob mit der Norm nur ein „doppelter Kündigungsschutz” vermieden werden sollte4. Für Kündigungen hat die Rechtsprechung diesen Streit dahin gehend aufgelöst, dass die Diskriminierungsverbote des AGG einschließlich der im Gesetz vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Kündigungsschutzgesetzes in der Weise zu beachten sind, als sie Konkretisierungen des Sozialwidrigkeitsbegriffs darstellen. Verstößt eine ordentliche Kündigung gegen Benachteiligungsverbote des AGG, so kann dies zur Sozialwidrigkeit der Kündigung nach § 1 BAGchG führen5.
Ungeachtet der Unwirksamkeit einer diskriminierenden Kündigung sperrt § 2 Abs. 4 AGG weitergehende Ansprüche auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht. Ansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG auf Entschädigung wegen Schäden, die nicht Vermögensschäden sind, auch im Fall einer sozial nicht gerechtfertigten, diskriminierenden Kündigung grundsätzlich zuzulassen, ist nicht systemwidrig. Auch bisher waren etwa auf § 823 Abs. 1 BGB gestützte Entschädigungen für erlittene immaterielle Schäden bei der Geltendmachung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer unwirksamen Kündigung nicht ausgeschlossen6. Dies wird auch von der überwiegenden Meinung in der Rechtslehre so gesehen7. Dabei ist zu berücksichtigen, dass erklärte Kündigungen oft Bezüge zu den Anknüpfungsmerkmalen des AGG aufweisen. Im Normalfall wird eine ungerechtfertigte Belastung durch die Überprüfung der Kündigung anhand der Bestimmungen des allgemeinen und des besonderen Kündigungsschutzes ausgeräumt. Eine merkmalsbezogene Belastung im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer Kündigung führt jedenfalls dann zu einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG, wenn die Belastung – wie bei einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung – über das Normalmaß hinausgeht.
Es ist nicht zu entscheiden, ob bei diskriminierenden Kündigungssachverhalten weitere Ansprüche auf Ersatz des materiellen Schadens nach § 15 Abs. 1 AGG in Betracht kommen können. Grundsätzlich wird bei einer für unwirksam befundenen Kündigung der materielle Schaden, was die Kündigung selbst angeht, im Wege der Naturalrestitution ausgeglichen, für weitere materielle Folgen von Kündigungen stehen die Anspruchsgrundlagen des bürgerlichen Rechts unabhängig von § 15 Abs. 1 AGG seit jeher zur Verfügung, zB § 615 BGB.
Durch die Kündigungen hat die schwangere Arbeitnehmerin eine weniger günstige Behandlung erfahren als die übrigen vergleichbaren Arbeitnehmer der Beklagten, denen nicht gekündigt wurde. Die schwangere Arbeitnehmerin hat eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG wegen ihres Geschlechts als einem der in § 1 AGG genannten, verbotenen Merkmale erfahren, weil sie als Frau wegen ihrer Schwangerschaft ungünstiger behandelt worden ist, § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG.
Der Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Behandlung und dem Merkmal „Schwangerschaft/Geschlecht” ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Schwangerschaft anknüpft oder durch diese motiviert ist. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund – die Schwangerschaft – das ausschließliche Motiv für das Handeln ist. Ausreichend ist vielmehr, dass das Merkmal Bestandteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst hat8. Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es nicht an9. Die Schwangerschaft muss mithin nicht – gewissermaßen als vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder” des Verhaltens – handlungsleitend oder bewusstseinsdominant gewesen sein; eine bloße Mitursächlichkeit genügt.
Besteht eine derartige Vermutung für die Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.
Geht die Kündigung der Arbeitnehmerin während ihrer noch bestehenden Schwangerschaft zu, verstößt sie objektiv gegen das Verbot des § 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG, wonach die Kündigung gegenüber einer Frau während der Schwangerschaft unzulässig ist, wenn dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft bekannt war.
§ 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG – Kündigungsverbot – wie § 6 Abs. 1 Satz 1 MuSchG – Beschäftigungsverbot – stellen auf den Begriff der Schwangerschaft und auf deren Ende durch „Entbindung” ab. Unter „Entbindung” ist grundsätzlich die „Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib” zu verstehen, was bei einer Lebendgeburt vollkommen unproblematisch ist10. Im Falle einer Totgeburt wurde bis 1994 von einer Entbindung gesprochen, wenn die Frucht eine Körperlänge von 35 cm hatte11. Nach einer Änderung der Personenstandsverordnung (§ 29 Abs. 2 PStV aF, gültig ab 1.04.1994; seit 1.01.2009 § 31 Abs. 2 PStV) entsprechend den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO von 1977 gelten nunmehr Kinder als tot geboren oder in der Geburt verstorben, wenn das Gewicht der Leibesfrucht mindestens 500 g betragen hat12. Auch eine solche Totgeburt ist als Entbindung anzusehen. Dies gilt auch im Fall eines Schwangerschaftsabbruchs, wenn sich das Kind schon bis zu einem Stadium entwickelt hatte, in dem es zu einem selbständigen Leben – wenn auch nur kurz – grundsätzlich fähig war13. Eine tot geborene Leibesfrucht von geringerem Körpergewicht als 500 g gilt dagegen als Fehlgeburt, § 31 Abs. 3 PStV, die keine Entbindung im Sinne des Mutterschutzgesetzes bedeutet. Bei einer Fehlgeburt besteht der Schutz vor Kündigungen nur, aber eben auch bis zum Zeitpunkt der Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib.
Dem entspricht die medizinische Terminologie und Einteilung. Ärzte sprechen bei einem Gewicht des Fötus von 500 g und mehr von einer Totgeburt. Dieses Gewicht ist ab der 22. Schwangerschaftswoche zu erwarten14. Generell wird zwischen Fehlgeburten aus natürlicher Ursache (Spontanaborten) und Schwangerschaftsabbrüchen (artifizielle Aborte) unterschieden. Bei einer „missed abortion”, also einem verhaltenen Abort, ist die Fruchtanlage abgestorben, wird aber nicht aus der Gebärmutter ausgestoßen. Es gibt außer fehlenden Vitalitätszeichen keine äußeren Anhaltspunkte wie eine Blutung oder Gewebsabgang. Der Zervikalkanal ist geschlossen. Eine sicher diagnostizierte missed abortion muss mit einem artifiziellen Abort therapiert werden, um möglicherweise letale Komplikationen wie das Dead-Fetus-Syndrom zu vermeiden. Dies bedeutet, dass auch medizinisch der Abort „verhalten”, also vom Körper nicht natürlich vorgenommen wird und die Trennung der Leibesfrucht vom Mutterleib erst durch den artifiziell herbeigeführten Abort erfolgt. Erst in diesem Zeitpunkt ist auch aus medizinischer Sicht die Schwangerschaft beendet.
Juristisch wie medizinisch endet daher die Schwangerschaft nicht mit dem Absterben des Kindes in der Gebärmutter. Entscheidend ist vielmehr die Trennung der toten Leibesfrucht vom Mutterleib.
Die Missachtung der besonderen Schutzvorschriften des Mutterschutzgesetzes zu Gunsten der werdenden Mutter bei Erklärung der ersten Kündigung indiziert eine Benachteiligung der Klägerin wegen ihrer Schwangerschaft und damit wegen ihres Geschlechts, § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG iVm. § 1 AGG. Ein Arbeitgeber, der die Möglichkeit eines geschlechtsspezifischen Kündigungsverbotes erkennt und gleichwohl eine Kündigung ausspricht oder die Kündigung aus genau dieser Überlegung wiederholt, will „erst recht” wegen des Geschlechts der Arbeitnehmerin benachteiligen.
Darüber hinaus ist eine derartige Kündigung (hier: während des Krankenhausaufenthalts wegen der Fehlgeburt) „zur Unzeit” erklärt worden. Die Art der Treuwidrigkeit ist wiederum geschlechtsspezifisch diskriminierend. Es verstößt grob gegen die Pflicht des Arbeitgebers zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen der Arbeitnehmerin, ihr noch vor dem Weg ins Krankenhaus, wo sie – für den Arbeitgeber bekannt – wegen des bereits abgestorbenen Fötus einen artifiziellen Abort vornehmen lassen musste, die Kündigungserklärung zukommen zu lassen. Dies kann nur als absichtliche Missachtung der persönlichen Belange der Arbeitnehmerin angesehen werden, die sich in einer lebensbedrohlichen Situation sah und darüber hinaus den Tod ihres Kindes zu verarbeiten hatte. Der Arbeitgeber hat bewusst einen Zugangszeitpunkt gewählt, der die Arbeitnehmerin besonders beeinträchtigen musste15.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12. Dezember 2013 – 8 AZR 838/12
- BT-Drs. 16/2022 S. 6 [↩]
- BT-Drs. 16/1780 S. 7 [↩]
- zB Däubler/Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 260, 262 unter Verweis auf EuGH 22.11.2005 – C‑144/04 – [Mangold] Slg. 2005, I‑9981 [↩]
- zB Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 59 [↩]
- vgl. BAG 6.11.2008 – 2 AZR 523/07, BAGE 128, 238; 22.10.2009 – 8 AZR 642/08, Rn. 15; 5.11.2009 – 2 AZR 676/08 [↩]
- vgl. BAG 24.04.2008 – 8 AZR 347/07, AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 8; 22.10.2009 – 8 AZR 642/08, Rn. 15 f.; 28.04.2011 – 8 AZR 515/10, Rn.20 [↩]
- zB KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 27; Stein in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 2 Rn. 50; Meinel/Heyn/Herms AGG § 2 Rn. 66 und § 15 Rn. 55; Schleusener/Suckow/Voigt/Schleusener 3. Aufl. § 2 Rn. 30; ebenso – im Hinblick auf das unionsrechtliche Sanktionsgebot in der Form eines Schadensausgleichs – Jacobs RdA 2009, 193, 196 und Stoffels RdA 2009, 204; aA zB Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 59; Sagan NZA 2006, 1257 [↩]
- st. Rspr., BAG 21.06.2012 – 8 AZR 364/11, Rn. 32, BAGE 142, 158 = EzA AGG § 22 Nr. 6; 16.02.2012 – 8 AZR 697/10, Rn. 42, AP AGG § 22 Nr. 4 = EzA AGG § 15 Nr. 17 [↩]
- BAG 16.02.2012 – 8 AZR 697/10 – aaO [↩]
- vgl. BAG 16.02.1973 – 2 AZR 138/72, BAGE 25, 70; ErfK/Schlachter 13. Aufl. § 6 MuSchG Rn. 2 [↩]
- vgl. BAG 16.02.1973 – 2 AZR 138/72, zu II 1 der Gründe, aaO [↩]
- vgl. BAG 15.12 2005 – 2 AZR 462/04, zu B I 1 d der Gründe [↩]
- vgl. BAG 15.12 2005 – 2 AZR 462/04, zu B I 1 der Gründe [↩]
- Runnebaum/Rabe Gynäkologische Endokrinologie und Fortpflanzungsmedizin Bd. 2, S. 414 [↩]
- vgl. BAG 14.11.1984 – 7 AZR 174/83, zu II 4 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 88; 12.07.1990 – 2 AZR 39/90, zu B IV 2 a der Gründe; 5.04.2001 – 2 AZR 185/00, zu II 2 b der Gründe, BAGE 97, 294 [↩]